Die Bucht des Donners

"Tut mir leid, wenn das wichtigtuerisch klingt: Aber es ist besser, im Stehen zu sterben, als auf den Knien zu leben!", Alexej Anatoljewitsch Nawalny


Erzählung
ab Feb 16, 2024 als Elektro
bei tredition

Beschreibung 2 min
Die Bucht des Donners

Geheimnisvoller Donner reißt die Bewohner der Oase aus dem Schlaf. Omar sieht, wie die Menschen voller Angst in die Wüste fliehen. Doch der Junge kann nicht bei ihnen bleiben. Die Ziege ist verschwunden. Sie ist alles, was die Familie hat!
Über der Bucht, bei der letzten Düne vor dem Meer, wächst das Gras noch saftig. Dort wird er die Ziege finden. Ganz allein wagt Omar den gefährlichen Weg bis zur Küste.
Als er endlich das Tier findet, glaubt Omar sich am Ziel. Doch er hat nicht mit dem gerechnet, was auf ihn lauert in der Bucht. Omar muss einer übermächtigen Kraft entgegen treten, die sogar den Donner lenkt. Der Feind will nicht nur die Ziege für sich.

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8 min

Die Bucht des Donners

Dröhnend zerriss Omars Traum. Erschrocken öffnete der Junge die Augen, befühlte hektisch den Rand der groben Decke, auf der er lag. Aber sie war da. Der gestampfte Sand daneben ebenso. Omar wollte sich schon beruhigen. Da erst merkte er, dass der Boden unter seinem Lager bebte. Sofort sprang er auf.
Steinbrocken schlugen durch das Dach der Hütte. Sie warfen alles durcheinander, was vorher einen Platz hatte!
Der Junge legte schützend die Arme über den Kopf. Doch einer der Steine war flinker gewesen. Omar fühlte, wie das Blut über den Scheitel lief. Viel schlimmer aber war in diesem Augenblick, dass der Wasserkrug zersprang!
Reglos sah Omar zu, wie die Glut der Feuerstelle zischte und verzweifelt kämpfte. Und als das Wasser gewonnen hatte, sah er den nächtlichen Himmel in der schmutzigen Lache. Alles schien lebendig auf einmal in der winzigen Hütte. Eine Sternschnuppe raste durch die Nacht. Der Junge schloss die Augen. Er hatte einen Wunsch frei! Fatima!
»Omar!«, der Vater stürzte herein. »Die Ziege hat sich losgerissen. Suche sie!«
Danach wandte er sich den Frauen zu, die sich bereits hastig kleideten.
»Nehmt nur das Nötigste! Wir müssen schnell fort!«, mit hängenden Schultern sah er sich in der kleinen Hütte um. »Hier ist nicht mehr unser Zuhause!«
Omar musste schlucken, als er Vater das Glitzern der Sterne verstohlen aus den Augen wischen sah.
»Fang die Ziege ein! Wir warten hinter dem See auf dich!«, mit einem tiefen Seufzer schob der Vater ihn durch die Tür nach draußen.
Die ganze Oase war in heller Aufregung. Nervös tänzelten die angebundenen Kamele vor den Hütten. Männer setzten ihnen schreiende Kinder auf die Rücken. Und die Frauen trugen mit schmalen Lippen die wenige Habe zusammen für die Flucht.
Omar schauderte. Was passierte mit seiner Welt in dieser Nacht? Jetzt erst hörte er das Ächzen der unter Donnerschlägen zersplitternden Palmen. Ohrenbetäubend laut kreischte es, jedes Mal. Erst jetzt sah er die zahlreich aus dem Boden geborstenen Gesteinsbrocken.
»Die Ziege!«, der Junge rannte los.
Hinter der letzten Hütte bog er ab ins Dunkel der Nacht. Zu spät bemerkte er das tiefe Loch, das mitten auf dem Pfad im Boden klaffte. Sein Hemdsaum blieb beim Sturz an freigelegten Wurzeln hängen und zerriss. Seine Hand schlug er sich schmerzhaft am spitzen Felsen. Fluchend spuckte er unten angekommen Sand. Omar schüttelte sich angewidert. Im Krater roch es verbrannt!
Mühsam kletterte er wieder nach oben und rannte weiter.
Schnell ließ Omar die Oase hinter sich. Und viel zu oft sah er sich um. Was, wenn der Donner ihm in die Wüste folgte?! Doch der dachte nicht daran. Der Junge atmete auf.
Endlich. Vor ihm lag die große Senke. Hier sammelte sich die Kälte der Wüstennacht. Und die drang durch das zerrissene Hemd. Wenn er hier rastete, würde er erfrieren. Omar strich über das zerfetzte Hemd.
»Mist!«, fluchte er.
Einen ganzen Krug voll Ziegenkäse hatte es ihn gekostet! Wo sollte er jetzt ein Neues herbekommen? Was würde Fatima von ihm denken?!
»Ich werde keinen Mann heiraten, der in Lumpen geht!«, hatte sie gesagt.
Er musste unbedingt die Ziege finden! Nach dieser Nacht war sie womöglich das Einzige, was die Familie noch besaß.
Omar fröstelte. Und lauschte. Immer wieder hämmerte der Donner auf die Oase ein. Er musste sich überlegen, wo er am besten suchte.
Die Ziege würde den gewohnten Weg nehmen. Sie liebte das salzige Gras, das hinter der letzten Düne wuchs. Direkt am Meer.
Wie oft hatten sie beide bis zu den Knien im Wasser gestanden! Und den hellen Horizont beobachtet!
Doch jetzt war dunkle Nacht. Omar hastete besorgt weiter.
Bei jedem Schritt griffen die Schatten der Dünen mit ihren wehenden Krallen nach ihm. Drohten. Kein Junge sollte nachts allein durch die Wüste laufen!

Endlich hatte Omar es geschafft!
Reglos stand die Ziege auf dem Kamm der Düne. Es war die Letzte vor dem Meer. Die Höchste ringsum. Die Schönste von allen. Sie umschlang eine ganze Bucht.
Das Tier sah unentwegt hinunter zu den Wellen. Es bemerkte Omar gar nicht. Immer näher schlich sich der Junge.
Unten in der Bucht erklang plötzlich ein Brüllen. Die Düne erzitterte. Gleich darauf fegte etwas mit einem Singen so knapp über den Dünenkamm hinweg, dass die Ziege verschreckt zur Seite sprang und hinter dem Kamm verschwand.
»Verflucht!«, Omar zog den Kopf ein.
Er legte beide Hände auf den Turban. Das fehlte ihm noch, dass der fortgerissen wurde! Doch schnell begriff er, dass das völlig nebensächlich war gerade. Was eben über die Düne gerast war. Das war viel wichtiger!
Omar ließ sich ein Stück hinabgleiten im Sand, und sah hinter sich. Er erkannte die wankenden Wipfel von Palmen in einem grellen Schein. Rauch stieg zwischen ihnen auf. Von weit entfernt antwortete ihm Donner. Dort lag sein Dorf!
Omar spie den Geschmack von Angesenktem aus, der ihn bereits in dem Krater angewidert hatte. Überall lag der nun in der Luft.
Es war also derselbe Donner, der ihn vorhin geweckt hatte. Der den Schrecken über alle Bewohner der Oase gebracht hatte. Er kam aus der Bucht!
Omar schauderte. In seiner Vorstellung sah er die Schwestern und die Mutter ängstlich zusammenrücken. Immer, wenn der Donner zuschlug. Angst hatte auch der Vater gehabt. Das wusste der Junge.
Vater sorgte sich um die Familie. Fürchtete um die Ziege. Und um die karge Ernte. Er hatte mit Omar seine Sorge geteilt, vor ein paar Tagen erst. So, wie Männer es taten. Am Feuer in der Hütte. Als sie unter sich waren.
An jenem Abend war der gewählte Präsident des Landes in das Dorf gekommen. Es hieß, er sei auf der Flucht. Vor bösartigen Maschinen. Brüllende Apparate mit langen Rohren sollten es sein. Mit gefleckten Männern mit Gewehren als Begleitung, flüsterten die Alten leise.
Der Präsident wollte sich bei ihnen verstecken.
»Die Maschinen werden kommen. Ihre Granaten die Oase verwüsten!«, hatte der Vater sich gesorgt. »Wir alle müssen dann fliehen, wenn wir leben wollen!«
Warum die Männer den Präsidenten nicht einfach wieder fortschickten, hatte Omar ihn gefragt. Auch wenn es ihm leidtat, so zu fragen.
Der Vater hatte zuerst genickt.
Doch dann sagte er feierlich, dass die Männer des ganzen Landes sich für ihn entschieden hätten. Auch die des Dorfes. Und dass es das erste Mal gewesen sei, dass die Stimmen der Männer gezählt hätten!
Omar hatte zugesehen, wie Vater bedächtig in der Glut stocherte.
»Niemand schickt seinen Anführer fort in der Not!«, es war das Letzte, was Vater zu der Angelegenheit sagte.
Und Omar hörte, wie laut sein Herz pochte. Er spürte, wie stolz Vater auf den Präsidenten war!
Danach hatten sie geschwiegen, bis die Frauen in die Hütte kamen. So, wie Männer es taten, wenn alles gesagt war.
Omar fragte sich, weshalb der Vater ihn gerade jetzt allein hinaus geschickt hatte. In die Wüste. In die er sonst nicht allein durfte in der Nacht. Genau dorthin, wo der Donner entstand.
»Natürlich!«, er schlug sich an den Kopf.
Vater baute auf ihn! Ihm traute er zu, die Ziege zu finden. Egal, ob es donnerte. Oder brüllte.
Um keinen Preis wollte Omar den Vater enttäuschen!
Gerade da rief die Ziege nach ihm. Hinter der Düne. Sie musste Schmerzen haben.
So schnell er konnte, kletterte Omar empor zum Kamm. Immer steiler wurde der Anstieg. Häufig rutschte er im aufgetürmten Sand wieder nach unten. Doch Stück für Stück arbeitete er sich nach oben. Auch wenn das Brüllen erneut durch die Bucht raste. Und der Donner weit hinten im Land einschlug und Blitze warf.
Nur einmal sah Omar zurück, mit einer Gänsehaut. Hörte er Schreie mitten im Rauch? Vater hatte gesagt, sie würden dort auf ihn warten!
Auf allen vieren krabbelte Omar die letzten Meter bis zur Kuppe hinauf. Oben angekommen, erstarrte er. Die Ziege lag weit unter ihm. Am Fuß der Düne. Hatte sich ein Bein gebrochen. Sie rief laut nach ihm, als sie ihn sah. Doch Omar konnte ihr nicht helfen. Das Entsetzen lähmte seine Beine. Seine Finger krallten sich nur mit Mühe um die Felsen auf dem Kamm.
Mit großen Augen sah er ein gewaltiges graues Schiff, das in der Bucht ankerte. Aus wuchtigen Rohren schleuderte es den Donner weit in die Nacht. Am Strand hantierten Männer in gefleckten Anzügen. An rastenden Maschinen. So zahlreich, dass Omar nicht genug Finger hatte, sie zu zählen. Motoren dröhnten. Schlanke Rohre richteten sich lauernd auf die Düne. Das mussten die Maschinen sein, die den Präsidenten jagten! Bestimmt stürzten sie sich bald brüllend auf das Land! Wozu wären sie sonst hier?
Unter einem Netz neben den Maschinen sah Omar Männer mit dicken Abzeichen auf den Schultern. Sie standen steif um einen Tisch herum. Schauten abwechselnd durch dicke Brillen zur Düne herüber.
Diese dicken Brillen kannte er! Ein Onkel besaß so eine. Sie waren dick genug, um alles Entfernte nahe heranzuholen.
Vater hatte also Recht behalten. Die Maschinen kamen und zerstörten die Oase! Was nun?
Wieder brüllte es aus den wuchtigen Rohren. So dicht flog diesmal das Singen an Omar vorbei, dass er glaubte, heißes Metall versenge ihm die Haut. Hatte ihn dieses Ding etwa berührt?!
Die Ziege jammerte, und riss Omar aus seinen Gedanken.
Sie versuchte, aufzustehen.
Und mehrfach schlug Omar die ausgestreckte Hand abwärts. Flüsterte ihr zu, dass er sie gleich holen komme. Es schien ihm das Beste, diese Männer nicht auf sie aufmerksam zu machen. Doch die Ziege gab keine Ruhe.
Der Junge überlegte. Wenn er sich geschwind zur Ziege hinunterrollte, sie sich auf die Schultern hob, und ... ja, was dann?!
Aufgeregt sah Omar von der Ziege zu den Maschinen mit den langen Rohren hinüber. Und von dort zu den Männern mit ihren dicken Brillen.
Mit der zusätzlichen Last käme er wohl nicht wieder auf die Düne hinauf. Er müsste sie umgehen. Doch dort unten lauerten die Maschinen. Sammelten sich auch immer mehr Männer mit Gewehren!
Der Junge wischte sich über die Stirn. Er musste die Ziege retten. Sie war alles, was die Familie noch hatte.
Hörbar atmete Omar aus. Entschlossen holte er Schwung. Warf sich in den Sand. Kullerte schnell den Abhang hinab.
Aus den Augenwinkeln sah er plötzlich drei flackernde Lichter. Mitten in der Dunkelheit. Sie kamen vom Strand.
Omar kannte diese winzigen Blitze! Sie jagten aus Gewehren hervor. Trieben die Patronen vor sich her. Drei gefleckte Männer schossen auf ihn!
Omar warf sich auf den Rücken. Er musste seinen Schwung bremsen! Wenige Meter unter ihm ragte ein Felsen aus dem Sand. Gut! Dahinter konnte er sich verstecken. Schmerzhaft ritzte scharfes Gestein seinen Rücken, als er endlich in der Deckung lag.
Omar sah an sich herab.
Zwar hatten die Gefleckten viele Patronen vergeudet. Doch getroffen hatten sie ihn nicht! Sie waren schlechte Schützen! Omar atmete auf.
Er erinnerte sich. Der Vater hatte ihm eines Tages einen einzigen Schuss mit der alten Flinte erlaubt. Zwar hatte Omar ebenfalls sein Ziel verfehlt. Doch das Zwitschern der am Felsen zerplatzenden Kugel hatte ihm damals gefallen. Heute gefiel es ihm nicht mehr. Vorsichtig spähte er hinter dem Stein hervor.
Er sah, dass die Männer nun auf die Ziege schossen. Das Tier hatte sich mühsam erhoben und war voller Hoffnung in seine Richtung gehumpelt.
Omar würgte, als er den gequälten Blick verstand. Denn die erwartete Hilfe blieb aus. Die Ziege versuchte, meckernd den Einschlägen zu entkommen, und hinkte umher.
Die gefleckten Männer brachen in Gelächter aus, als das Tier immer wieder abrutschte und stürzte. Hatten sie etwa Vergnügen an dieser Treibjagd?!
Omar schlug die Hände vors Gesicht. Er fühlte sich diesen Männern ganz ausgeliefert. Jede Faser seines Körpers riet ihm, wegzulaufen. Und doch konnte er nichts anderes tun, als sich hier hinter dem Felsen zu verstecken! Plötzlich roch er seine Angst.
Und im selben Moment hörten die Männer auf, zu schießen. Bestimmt schlichen sie im Dunkel bereits herauf zu ihm! Omar lugte über den Felsen.
Unten in der Bucht brüllte noch immer das graue Schiff. Schnaubten die Maschinen mit den schlanken Rohren Qualm in die Luft. Hantierten die gefleckten Männer. Und im Niemandsland zwischen ihnen und ihm, unerreichbar in dem ganzen Lärm, hockte die Ziege und brauchte ihn.
Da! Omar entdeckte die drei Gefleckten. Sie näherten sich der Ziege. Das Tier war wieder aufgestanden und humpelte von ihnen fort. Doch es konnte ihnen nicht entkommen. Es sei denn …
Omar warf einen Stein. Und gleich noch einen.
Überrascht hielten die Männer inne. Doch als sie ihn sahen, lachten sie nur und gingen einfach weiter.
Sie wollten tatsächlich die Ziege fangen! Als ob sie ihnen gehörte!
Wütend klaubte Omar so viele Steine auf, wie er tragen konnte. Er stand auf. Schrie so laut, wie er konnte. Und rannte die Düne hinunter. Wie im Rausch warf er dabei seine Steine auf die Gefleckten.
Schnell hatte er die Ziege erreicht.
Und die fremden Männer waren stehen geblieben. Doch sie waren ihm bedrohlich nahe.
Omar konnte sogar ihre Augen sehen! Wie kalt ihre Blicke waren! Ihnen fehlte die Wärme. Und wie seltsam sie in ihren gefleckten Anzügen aussahen!
Versteckten sie sich so vor sich selbst? Kein Mann, den Omar kannte, würde sich so kleiden.
Erschrocken fühlte Omar auf einmal den Stein in seiner rissigen Hand. Er hätte bedachter werfen sollen. Mehr Steine aufheben. Jetzt, wo er den Gefleckten gegenüberstand, besaß er nur noch diesen letzten Stein! Warf er ihn, war er wehrlos.
Und sie lachten und kamen auf ihn zu. Mit ihrem kalten Blick. Den gefleckten Anzügen. Und ihren Gewehren.
Was sollte er jetzt tun?! Omar seufzte inständig. In Gedanken sah er den Vater besorgt zur Küste schauen.
Immer noch war sein Sohn nicht zurückgekehrt. Mit hängenden Schultern führte er die weinende Frau fort von der zerstörten Hütte. Hinaus aus der verbrannten Oase, die sein Junge so geliebt hatte. Nur Staub blieb zurück.
Das durfte nicht geschehen!
»Wisst ihr denn nicht, was ihr meiner Familie antut?!«, schrie Omar hinüber zu den drei Gefleckten. »Wollt einfach die Ziege stehlen!«
Er drohte den Männern mit erhobenem Arm. Als ob er einen mächtigen Knüppel schwang.
Der Stein in seiner Hand war gut sichtbar. Und Omars Stimme reichte jetzt, am Morgen, weit über den Strand.
Die Männer hörten auf, zu lachen. Selbst die lauten Maschinen schienen aufzuhören mit dem Brüllen.
»Ihr beschmutzt die Oase, wenn ihr auf sie schießt!«, der Junge zeigte über die Düne hinweg. »Sie ist meine Heimat! Verschwindet!«, seine Augen waren zu Schlitzen verengt.
Er zitterte wütend.
Die Gefleckten sahen plötzlich hinauf zum Kamm der Düne. Wollten sie ihn ablenken? Ihn überrumpeln?
Glaubten sie wirklich, dass er, Omar, auf diesen alten Trick hereinfallen würde?! Der letzte Stein in seiner Hand gab ihm Sicherheit.
Und die Gefleckten tuschelten untereinander. Zogen sich hastig zurück.
Omar sah ihnen zu, wie sie liefen. Warf den letzten Stein einfach fort. Er brauchte ihn nicht mehr. Er hätte auch nicht geholfen.
Vorsichtig nahm er die Ziege auf seine Schultern. Und stieg mit ihr die steile Dünung hinauf.
Bald schlug sein Herz wie wild. Er rang nach Luft. Doch er legte keine Pause ein. Nicht ein einziges Mal drehte er sich um.
Selbst dann nicht, als die Maschinen am Strand wieder brüllten. Und ihre Granaten über ihn hinweg schossen.
Das hier war seine Heimat. Das war sein Leben. Die Ziege gehörte dazu. Warum also sollte er Furcht empfinden?

»Omar, alle haben dich gehört!«, der Vater half ihm das letzte Stück hinauf, bis auf die Kuppe. Oben angekommen nahm er ihn bei den Schultern. Mit glänzenden Augen.
»Das war mutig!«, der Präsident drückte ihm die Hand, so wie Männer es taten, wenn sie sich achteten. »Männer wie dich brauchen wir in unserem Land!«
Er reichte Omar die Landesflagge.
»Du sollst sie tragen!«
Fatima!
Sie stand einfach da und sah ihn an. Omar errötete. Sie nickte anerkennend, bevor sie das Bein der Ziege schiente.
»Warum seid ihr alle hier?«, fragte Omar erstaunt und sah sich um.
Das ganze Dorf hatte sich versammelt! Nicht nur die Männer mit den alten Flinten. Auch die Frauen. Die Kinder. Selbst die gebrechlichen Alten standen mit ihnen zusammen auf der letzten Düne.
Der Präsident sah hinüber zur Oase und über die Wüste, die sie bewohnten.
»Wir können nicht fliehen, wollen wir unsere Heimat behalten! Du hast uns gerade gezeigt, dass es lohnt, für das einzustehen, was wir lieben! Also treten wir ihnen hier entgegen. Alle. Wir wissen bloß noch nicht, wie stark wir sind! Ist es nicht schön hier?«, sagte er lächelnd.
Omar streichelte die Ziege, die sich an ihn lehnte, und folgte dem Blick des Präsidenten.
Die Sonne ging eben auf. Sie wärmte Omars Gesicht. Der Wind entfaltete über ihnen knatternd die Flagge. Die er, Omar, hielt. Überall zwischen den Dünen und auf den Kämmen erkannte er Menschen. Sie alle kamen zur Bucht des Donners.
Das ganze Land war auf den Beinen!


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