Wasser fließt bergauf

„Alles in mir ist Traurigkeit.
Ähre und Blatt sind erstarrt in grauem Tod.
Mensch und Tier, die noch leben, sterben schon.
Siehe den Stern, der gleißend das Leben im Licht zerreißt.
Oh belebend Nass, wo bleibst du?
Lenktest des Lebens Strom.
Ließest Korn sprießen, gäbest kühlend Schatten.
Mensch und Tier, die noch lebten, labten sich.
Siehe den Stern, der gleißend das Leben im Licht zerreißt.
Oh belebend Nass, wann kommst du?“

aus „Die Große Trockenheit“, Elric von Mornaque, 12. Jahrhundert

Der Waisenjunge Janic entdeckt einen geheimnisvollen Gang, der ihn ins 12. Jahrhundert verschlägt. Alle dort halten ihn für den jungen Elric. Doch nicht nur Janic kennt das dunkle Geheimnis, das ihn mit dem echten Elric verbindet und das ihn bald bedroht. Als eine schreckliche Dürre die Menschen heimsucht, hilft Janic, sie zu überstehen. Und er erfährt die bittere Wahrheit über seinen Vater.

„Friss Dreck!“, der unverhoffte Schlag traf Janic so wuchtig, dass er taumelte. Lichter tanzten vor einer dunklen Wand, das Gesicht glühte und die Nase wurde taub. Alle Empfindungen flohen vor dem Schmerz.
Der Andere packte ihn und drückte seinen Mund hinab in den staubigen heißen Sand. Janics Hände ruderten hilflos durch die Luft. Der kurze Kampf war entschieden.



Roman. 2019 im Verlag epubli erschienen. Taschenbuch mit 300 Seiten und als E-Buch.

Am Berghang verdorrten alte Weinstöcke in der Hitze. Entkräftet neigten sich die eingerollten Blätter dem trockenen Boden zu. Denn ohne Wasser waren sie dem Untergang geweiht.
‚Der einzigartige Geschmack ihrer Früchte vergeht unwiederbringlich. Es sind die Letzten ihrer Art. Doch der Mensch hat Wichtigeres zu tun', die Worte von Monsieur Bertrand gingen Janic nicht aus dem Kopf. Die schlanken Hände auf die steinerne Gartenmauer gestützt, sah der Junge auf die Umgebung herab.
Die Häuser der Stadt bedrängten die Burg hier oben. Nur die steil abfallenden Seiten des bewaldeten Felsmassivs, auf dem sie thronte, geboten der Gegenwart Einhalt. Sie waren der eigentliche Schutz für die alten Mauern.
Die Felder in der Ebene rechts von Janic lugten nur vereinzelt bis hierher zur Terrasse hinauf, versteckten sich hinter den hohen Türmen des städtischen Gaswerks. Schattenlos flimmerte die trockene Fläche verdurstend unter der sengenden Sonne, als böte sie sich als gewaltige bewegliche Kulisse an.
Obwohl verborgen hinter dem diesigen Schleier über der Stadt, erahnte Janic links die helle Schneise der gefällten Bäume. Dort entstand eine Autobahn.
Vor einem Jahr noch waren er und Vater an genau jener Stelle durch den alten Wald gejagt, hatten Verstecken gespielt und Fangen. Niemand kannte die geheimnisvollen und verschlungenen Pfade wie der Vater, keiner erzählte die Sagen dieser Gegend so lebendig. Wie oft schien es Janic auf dem stets viel zu zeitigen Heimweg, dass die längst vergangenen Gestalten hinter Felsen und Bäumen hervortraten und sie ein Stück weit begleiteten!
Doch Vater erweckte die uralten Sagen nicht mehr zum Leben. Der geheimnisumwobene alte Wald war mit ihm verschwunden. Monsieur Bertrand sagte, er sei tot.
Janic schüttelte den Kopf und sah in den verschwimmenden Himmel, der ihn mit seinem hellen Blau verhöhnte.
„He, Streber! Spielst du Burgherr? Wir könnten im Schwimmbad sein. Stattdessen gehen wir ins Museum! Deinetwegen!“, drohend klangen die Worte.
Janic drehte sich zu ihnen um. Die schwarzen Augen des Anderen sahen ihn unter zornigen Brauen hervor an, das kreisrunde braune Mal am Kinn fing Janics Blick. Es leuchtete förmlich vor Wut! Der Andere war der Stärkste, die Übrigen standen hinter ihm.
„Friss Dreck!“, der unverhoffte Schlag traf Janic so wuchtig, dass er taumelte. Lichter tanzten vor einer dunklen Wand, das Gesicht glühte und die Nase wurde taub. Alle Empfindungen flohen vor dem Schmerz.
Der Andere packte ihn und drückte seinen Mund hinab in den staubigen heißen Sand. Janics Hände ruderten hilflos durch die Luft. Der kurze Kampf war entschieden.
Janic setzte sich auf, als der feste Griff endlich locker ließ. Er wischte den Staub aus dem Gesicht und spuckte Sand. Die gleiche körnige Erde rieb auch seine Augen wund. Mit jedem Lidschlag grub sie sich tiefer in sie hinein. Und die Nase glühte vor pochendem Schmerz!
Doch er musste die Augen offen halten, wollte er dem Anderen nicht wehrlos ausgeliefert sein. So zwang er die Lider, sich zu heben, und blinzelte umher.
Ringsum spürte er, mehr als er sie sah, die Jungen der Klasse. Ihr Gelächter hielt ihn am Boden wie ein unsichtbares Netz aus Seil.
Er registrierte das Blut im Gesicht, das dem pochenden Schmerz folgte. Es tropfte von der Nase herab und kitzelte zum Abschied. Jeder einzelne Tropfen davon landete zwischen den Knien im trockenen Sand, wurde dort im Nu aufgesogen und hinterließ nur einen kleinen dunklen Punkt. Viel zu rasch trocknete das lebendige Rot im Staub. Es wurde zu einem welken Braun, das sofort im nächsten Windhauch verging. Nicht eine Spur blieb davon.
Janic stiegen die Tränen empor. Ein gewaltiger Kloß presste auf seine Seele. Würde auch er kein Zeichen hinterlassen?
Weit weg wünschte er sich. In eine andere Zeit. In ihr thronte die eigene Burg erhaben über der entstehenden Stadt. Ihre Gemäuer waren fest gefügt und Schutz genug für alles rings. Der wildreiche Forst reichte vom Hang bis hinab zu den Feldern auf der Ebene. Üppig gediehen auf ihnen die Früchte und gaben bereitwillig her, was die Menschen zum Leben brauchten. Zufriedene Händler brachten ihre Ware in die Stadt und berichteten Neues aus weit entfernten Ländern.
Janic sah sich mitten unter ihnen, bot Rat und gehörte dazu. Was er alles vollbrachte! Bibliotheken füllte er mit wertvollem Wissen, Gelehrte entdeckten und forschten in seinem Auftrag. Und die Ärzte halfen den Leidenden.
Schon spürte er die wunden Augen kaum noch, pulsierte der Schmerz besänftigt durch die Nase.
Doch wenige Gedanken weiter kehrte er zurück zu Janic. Er konnte sich ja nicht einmal selbst helfen!

Wie wollte er da ein Land regieren?

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