Feder im Sturm

"Wo die Gewalt regiert mit dem Tod, dort wehen schwarze Flaggen. Doch die Zeit hat längst bewiesen, dass sie niemals bestehen gegen das Leben!"

Was heißt hier überleben?! Terror und Angst gehören zur modernen Welt. Obwohl: Alles begann lange zuvor mit dem Töten. Bereits die Assyrer verschleppten die Besiegten, bis in deren Ländern bloß leerer Schutt übrig blieb - die Taktik der verbrannten Erde war geboren. Die Soldaten der mongolischen Khane ließen später geschätzte 40 Millionen (!) Menschen über ihre Klingen springen, bevor sie 1242 vor Wien standen.
In den unzähligen Kriegen der Menschen ertrugen Unschuldige die Faust der Sieger. Zahlreich ertranken Kinder in Gewalt, und auch Erwachsene. Jeder Tag brachte neues Leid.
Auch heute sehen wir den Opfern beim Sterben zu. Zwar ahnen wir das qualvolle Ende der Kinderträume, wenn wuchtige Detonationen Knaben und Mädchen über den Bildschirm jagen. Wir stellen uns den fauchenden Tod vor, der entfesselt in schwarzen Wolken qualmt. Bis wir umschalten. Denn wir wissen um die blinde Zerstörungswut am Ursprung unsrer Kultur.
Aber wir unterbinden das alles nicht. Weil es weit weg ist. Weil wir am Krieg mitverdienen. Weil wir meinen, dass es uns nichts angeht. Wir eh nicht helfen können. Es uns nicht mehr berührt. Solange es regnet, ist das so. Aber!
Stell dir vor, du lebst in einem behaglichen Haus. Mit deiner geliebten Familie, mit Freunden, ein unbeschwertes Leben. Wenn dann ein einziger wuchtiger Donnerschlag alles rings zermalmte: Wäre das nicht ein Alptraum? Für die meisten von uns ist es das.

So ein Traum riss mich aus der Nacht. Ich MUSSTE aufschreiben, was ich in jener Unwirklichkeit erlebt hatte! Beim Erwachen der Schweiß war echt, roch nach meiner Angst. In dem Moment verstand ich: Kein bisschen wäre ich vorbereitet auf die Scherben meiner heilen Welt. Obwohl ich Soldat gewesen bin. Verstündest du zu überleben?!

Erzählung
Jun 2015 als Taschenbuch, 1. Auflage
bei epubli

Beschreibung 1 min
Feder im Sturm

2014. Nordirak. Irgendwo. Gut versteckt in der Wüste.

Seit Menschengedenken steht der Baum des Lebens auf der grünen Düne. Wegen ihm will diese nicht mehr umherwandern mit dem Wind, und bleibt. So sagen es die Alten. Alles scheint fest gefügt in dem Dorf, das versteckt dahinter liegt.

Doch unheimliche Krieger rasen wie ein Sturm über die heiße Ebene. Keinen Gott außer ihrem lassen sie gelten. Alles, was vor ihnen geschah, zerstören sie.
Die junge Lehrerin Djamila sieht die Hilflosigkeit des Vaters. Niemand kann gegen eine solche Macht bestehen! Ihr Bruder Habbib schließt sich sogar den bedrohlichen Kämpfern an! Djamila weiß, dass das Dorf sich dem Kriegersturm stellen muss, will es darin nicht untergehen.

Je suis Djamila!

Nur für Dich:
Leseprobe
6 min

Feder im Sturm

Auf der Hälfte des Heimwegs blieb Djamila stehen. Sie musste einfach! Kaum bemerkte sie, dass ihre Finger sich lösten. Dass das Bündel aus Büchern und Heften in den Sand fiel, gleich neben den staubigen Füßen. Sie hatte nur Augen für das, was sie vor sich sah.
Zwar langte das Reisig des spitzen Hüttendachs noch hinauf bis in das Sonnenlicht. Der Schatten des Abends aber griff bereits kühl nach dem Holz darunter. Je schwächer das Licht auf dem Dach wurde, desto weiter reckte er sich am Boden. Bald würde er überall sein. Als schwarze Nacht. Von der niemand wusste, was sie noch verbarg.
Doch jetzt gab das alte trockene Holz seine ganze Schönheit preis. Im letzten Atemzug des Tages. Als wäre es egal, was danach passierte.
Djamila liebte es, mit den Fingern über die Kerben zu streichen, ehe die Nacht begann. An den hölzernen Adern entlang fühlte sie dann den Zauber, der sich im grellen Licht verbarg. Das Hell, das keinen Schatten duldete.
Sie sah sich um. Blickte über die alten Dächer des Dorfes. Sie alle sprühten vor Leben. Und gleich hinter ihnen ragte sie auf.
Die gewaltige Düne.
Wie oft hatte Djamila über den steilen Rand gespäht. Im heißen Sand gelegen. Und mit offenen Augen geträumt. Ihre Wünsche hatte sie dabei der weiten Ebene zugeflüstert. Die lag gleich dahinter. Und wie eine Feder war ihr Hoffen im Sturm der Unendlichkeit davon geschwebt. Leise. Tanzend. Als ob es lachte zum Abschied.
Manches war wirklich zurückgekehrt in Djamilas Leben. Anderes nicht, bisher. Wie gern sie mit eigenen Augen sehen würde, was hinter dem Horizont kam. Einmal wenigstens!
Die Hütten des Dorfes hingegen verbargen sich vor der weiten Ebene. Sie wollten nicht entdeckt werden. Und die Düne schirmte sie mit ihrem Kamm. Doch das war nicht das Besondere an ihr. Das war etwas anderes.
An ihrer höchsten Stelle stand ein Baum. Der Einzige weit und breit! Und gewaltig wie ein Turm. Bis hinauf in den Himmel ragte er.
Djamila kam es vor, als strecke er die Arme aus. Um Wolken zu fangen. Bewegte er die Blätter womöglich nur, weil die Menschen hier den Wind brauchten?!
Seine knorrige Haut war voller Narben. Wie das Holz der Hütten. Doch seine reichten tiefer. Denn seit er hier lebte und alles zusammenhielt, schlug die Zeit nach ihm. Erbarmungslos, wie Zeit es eben tut. Trotzdem hielt er ihr stand. Und der Hitze. Zeitenmuster nannten die Alten seine Wunden.
Djamila beeindruckte, dass der Baum gerade hier stand. Denn er hatte nicht nur überlebt. Er hatte selbst Leben geschaffen. Und es behütet. Mit Schatten. Und weil er das Wasser tief unter der Wüste anzog mit seinen kräftigen Wurzeln, wuchs auf der Düne das weiche Gras! Mit diesem Teppich als Schutz konnte sie endlich beim Dorf bleiben. Sie musste nicht mehr fliehen, wenn Wind aufkam. Endlich hatte sie eine Heimat gefunden.
Djamila war sich sicher, dass der Baum und die Düne die Menschen beschützten. Gemeinsam schafften sie es! Sie nickte ehrfürchtig zu ihren Gedanken.
Auch der Schatten des Baumes reichte bereits weit hinein in die Dämmerung. Je tiefer die Sonne sank, desto machtvoller schuf er sein eigenes Schattenreich. Bis er sich verband mit dem allgegenwärtigen Schwarz der nächsten Wüstennacht, wuchs er so. Unaufhaltsam. Bis das letzte Tageslicht geflohen war.
Die Alten sagten, er stehe da, damit die Wüste vom Leben koste. Falle der Baum einst, müsse die Düne wieder dem Wind folgen. Und das Dorf sterbe dann. Denn ohne Schutz zerstreuten sich die Menschen willenlos im Sturm. Es sei schon immer so gewesen. Wie loser Sand, der durch die Finger rinnt.
Wenn es beginne, sei es bereits zu spät. In einer solchen Zeit, und ohne Wurzeln, wären sie alle verloren! Djamila schluckte.
Sie merkte, wie eine Böe feinen Sand vor sich her trieb. Er spielte mit ihrem langen offenen Haar. Und einmal noch vor der Nacht tanzte er mit ihrem Kleid. Djamila fröstelte, so kühl war der Windzug plötzlich. Trotzdem lächelte sie. Denn einen Augenblick später, als die Wärme zurückkehrte, fühlte es sich genauso an, als würden die Kinder sie im Unterricht umschwirren.
Die prächtig bunten Blüten auf dem Stoff hatten es ihnen angetan. Denn niemand im Dorf trug so ein buntes Kleid wie die Lehrerin Djamila! Mit Ärmeln, die gerade die Schultern bedeckten. Und einem Saum, der knapp bis zu den Knien reichte. Wie weich sich die Blüten anfühlten!
Aber in Wahrheit planten die kleinen Hände, den Körper der Lehrerin zu berühren. Djamila sah es in den staunenden Augen. Sie erspürte es. Und ließ es geschehen.
Denn die Kleinen wollten einfach wissen, ob es wirklich diese schmucke Frau war, die ihnen die ganze Erde zeigen konnte. Auf großen bunten Bildern. Die ihnen Träume einpflanzte. Wünsche, die die ganze Welt bewegen konnten. Und die dabei lächelte, als käme sie aus einer Zauberwelt! Eine Fee vielleicht, die sich zu ihnen in den Dünensand hockte. Um preiszugeben, was zu ersehnen sich alles lohnte. Djamila war glücklich, wenn sie in den Kinderaugen neue Träume entdeckte.
Jetzt aber sah sie sich um. Ringsherum hielt das alte ausgedörrte Holz der Dächer das Licht des Tages fest. Bis zuletzt. Als wolle es den helllichten Traum niemals loslassen, in dem alles sicher schien. Es trank sich satt davon. Damit es die Nacht überstand.
Denn die Schatten stachen bereits in die Ebene hinein. Lang und spitz. Wie tödliche Messer. Selbst der Baumschatten war nun eines davon geworden. Er war das Mächtigste von allen.
Ganz schwarz und still stachen die Klingen zu. Sie drohten! Das Hell kämpfte mit dem Dunkel um die Welt. Und es verlor gerade.

Djamila fürchtete in diesem Augenblick, dass es nach der kalten Nacht keinen neuen Morgen mehr gab!


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