Die gestohlene Zeit

1968. Vom Mississippi bis nach Mexico.




Unsere Traumwelt ist geschlagen. Ihre Farben beugen sich vor grauer Wirklichkeit. Wie retten wir sie ohne Hilfe?, Atahualpa, der letzte König der Inka, 1532

Der ganze Wald brannte. Hoch wie ein lebendes Haus und undurchdringlich wie das Dickicht alles verschlingenden Nebels erhoben sich die sengenden Flammen in ihm. Der Wind war ihnen ein treuer Begleiter. Schöpfte er Atem, kosteten ihre glühenden Spitzen lauernd an den Kronen der alten Bäume, die über sie hinaus ragten. Blies er seinen Odem aus, drängten die Flammen lodernd vorwärts und fraßen alles gierig auf ihrem Weg. Überall dort, wo sie vorüber waren, blieb nur schwarze qualmende Wüste übrig.
Die Flammen sahen ihn an. Der Junge spürte ihre hungrigen Blicke. Er musste dem Feuer entkommen! Panisch drehte er sich um und lief los mit der Angst in seiner Brust, die ihm dazu riet. Er lief einfach fort. Was konnte er schon besseres tun? Wäre er ein Adler, würde er die mächtigen Schwingen ausbreiten und das rasende Inferno weit unter sich zurücklassen. Der Junge seufzte. Er war kein Adler. Nur ein Junge. Hinter sich hörte er das näher rückende Sterben. Altes Holz zerplatzte in der Hitze. Der Saft junger Büsche verging zischend in der tödlichen Glut. War es der dichte Rauch, der ihm Tränen in die Augen trieb?
Unsägliche Hitze spürte der Junge plötzlich ganz nah über sich. Erschrocken drehte er sich um. Etwas Schwarzes raste auf ihn zu, fuhr tief in die schmerzende Lunge, nahm ihm den Atem. Wie dicht der Rauch war! Heiß griffen die zuckenden Flammen nach ihm und ließen nicht mehr los, so sehr er sich auch wand. Sie lachten dabei. Ganz deutlich hörte er höhnisches Gelächter. Oder war es Wutgeschrei? Verzweifelt schloss er seine Augen.
Dann fiel er.
Und fiel.

Der Junge vermisst seinen Vater. Einfach verschwunden ist der, als der Wald brannte. Oder steckt viel mehr dahinter? Denn dunkle Träume greifen nach ihm, seitdem, immer wieder, Tag und Nacht. Doch er wird nicht aufgeben. Noch nicht. Er will gegen die Dunkelheit kämpfen. Mit allem, was er hat. Für sein Leben, für das seiner Mutter - und für alle auf der Welt, die Angst vor der Dunklen Geschichte haben! Er wird sie vernichten. Mit Feuer und Tinte!



Novelle. Als zweite Auflage am 10.09.2023 im Verlag Tredition erschienen. Taschenbuch mit 64 Seiten und als E-Buch.

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