Der Mut einer Löwin

"Jeder Stern leuchtet, jeder nach seiner Art!", Agnello Partecipazio, Doge von Venedig, 810.

Jeder Stern leuchtet, jeder nach seiner Art. So auch Venedig, dieser abendländische Traum. Geraume Zeit bereits setzt die Stadt sich über all den Verfall hinweg, den es reichlich gibt in der Welt des Gestern. Und doch lebt sie genau davon! Unter Venedigs wachsamen Augen entstehen machtvolle Reiche, die unwiederbringlich zu Staub verwehen, wenn ihre Geschichte zu Ende geht. Die Stadt aber schwebt zum Schein unangetastet über der Lagune. Sie ist ein herrliches Trugbild für die, die träumen mögen bei ihrem sonnenüberfluteten Anblick. Und wer in den unfassbaren Schatten der grauen Winternebel mehr zu sehen vermag als eine kalte Wetterlaune, spürt das vertraute Labyrinth, das die Ruhe des Lebens geheimnisvoll in sich fängt. Nach jedem Sieg erstrahlt Venedigs Zukunft verheißungsvoller! Niederlagen nehmen nichts von solchem Glanz! Immerfort geschieht es genauso. Bis heute bleibt es dabei.

Ich besuchte die steingewordene Fantasie auch im Traum - und fand es herrlich, wirklich ohne Ziel durch ihre Gassen zu schlendern. Behände vergingen die unzähligen Stunden, die ich damit zubrachte des Nachts. Uhrzeit bedeutet nichts in einem Traum! Bog ich verhalten genug um eine Ecke, folgte ich mit meinem Blick den Schatten, die entschlossen um dunkle Winkel stritten. Ehe sie mich entdeckten, atmete ich begierig ihren Geruch von erlebter Zeit. Wundersam raunten ihre Geheimnisse in mancher Nische, bis ich zu dicht kam.
Und erst am Tag die Weite der azurnen Lagune! Im Traum brauchte ich bloß die Finger in die seichten Wellen tauchen - schon trat ich ein in die Welt von Estrella, der Lagunenfischerin, die Venedig liebte, als es eben entstand, so wie wir es sehen.
Estrella. Ein Mal entdeckte ich sie auf dem glitzernden Wasserspiegel der Lagune. Sie lag über den Vordersteven des hellblauen Bootes gereckt und zerteilte mit ihrer Hand den lebhaften Spiegel aus dunklem Wasser. Sie genoss die Fahrt, die das Gefährt innehatte. Ohne Zweifel lachte sie mir zu, bevor sie hinausfuhr, um zu fischen. Sie verschwand in all dem Lagunenglitzern wie ein Stern unter vielen. Estrella.
Danach blieb sie unauffindbar für mich. So sehr ich auch suchte nach ihr unter den Menschen in meinem Traum. Aber ihr Lächeln nahm ich mit in den Tag. Schließlich schenkte es mir eine Geschichte! Hier ist sie!



Erzählung
ab Sep 10, 2023 als Elektro- und Taschenbuch, 2. Auflage
bei tredition

Beschreibung 1 min
Der Mut einer Löwin

Sommer 810. Italien, Venedig.

Estrella, die Fischerin, entdeckt sie als Erste: Die Franken sind vor Venedig gelandet! Über Nacht haben sie das Wasser der Lagune geteilt. Und nur ein Steinwurf trennt sie noch vom Rivoalto. Wenn sie die Stadt erreichen, werden sie jeden Traum darin verbrennen!

Estrella setzt aus Liebe zu ihrer Heimat alles auf eine gefährliche Karte. Es scheint, als ob nur sie den verhassten König Pippin lange genug aufhalten kann! Doch was wird aus ihr in diesem tödlichen Spiel?!

Nur für Dich:
Leseprobe
6 min

Der Mut einer Löwin

Das fein geschnittene Gesicht dicht vor ihr, die zarten Finger, die ihre Wange kaum berührten, die schwarzen Haare: Hatte Estrella in einen Spiegel geblickt? Sie ahnte das Wesen der Frau, kannte ihr Gesicht und fühlte sich ihr verbunden. Doch einen Namen dazu wusste sie nicht. Warum hatte die Unglückliche ausgerechnet ihr das Kleid geschenkt?
„Ihr seid ihr ähnlich. Tragt es. Sie war ein guter Mensch!“, ein Mann war neben sie getreten.
In enges Schwarz gekleidet schien er ein Kaufmann, der den Brauch seines Standes ehrte. Nur die Kaufleute Venedigs trugen diese Gewänder ohne Verzierung. Ihr einziger Schmuck waren die zum Ende hin weit werdenden Ärmel.
Erstes Grau hellte zwar bereits das lange dunkle Haar seiner Schläfen auf, doch sein Körper hatte sich geschmeidig bewegt. Er atmete tief, als sei er zügig gelaufen.
Kurz fuhr seine Hand über die Augen. Mit der Linken rieb er sein rasiertes Kinn und schüttelte kaum merklich den Kopf, während er auf das Wasser starrte.
„War es hier?“, dumpfer klang seine Stimme als beim ersten Mal, während er auf das Wasser vor ihnen zeigte.
Estrella nickte. Sie wusste, was er meinte.
Hatte der Mann die Fremde gekannt? Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er sie, das spürte sie. Unsicher wollte sie sich abwenden. Seine Worte aber hielten sie fest.
„Statt dem Adler entgegenzutreten, geben wir auf, bevor er seine Schwingen überhaupt entfaltet. Wahrlich ein leichter Sieg für die Franken!“, mit ausgestrecktem Arm beschrieb der Mann einen Bogen um Stadt und Lagune.
„Soll das alles verloren sein?“, fragte er lauter.
„Lauft nicht fort wie die anderen!“, durchdringend ruhte sein Blick unvermittelt auf Estrella. „Erweist ihr diesen Dienst. Erweist der Stadt einen Dienst!“
Estrella verstand ihn nicht, zögerte erwartungsvoll.
Der Mann überlegte kurz und sah sie an. Dann nickte er.
„Pippin führte sein Heer vor unsere Stadt, weil wir uns nicht unterwarfen. Er ließ uns aber wissen, dass er die Belagerung beendet, sobald wir ihm einen gewissen Tribut gezahlt haben.“
Estrella wunderte sich.
„Warum gibt die Stadt das Gold nicht? Es heißt, der Doge ist reich.“
Der Mann wiegte den Kopf.
„Es geht nicht um Gold allein.“
Estrella zog eine Augenbraue empor.
„Pffh!“, verächtlich presste der Mann zwischen seinen Lippen die Luft hervor. „Er verlangt außerdem, dass wir ihm die Tochter des Dogen ausliefern. Ganz versessen ist er nach ihr.“
Estrella hielt noch immer das Kleid in Händen. Trotz seiner Schönheit fühlte es sich plötzlich fremd an.
„Hat der Doge eine Tochter?“
Kraftlos sanken die Schultern des Mannes hinab.
„Nein.“
Estrella wich rückwärts vor dem Fremden zurück.
„Ihr spielt ein dunkles Spiel!“, schnaubte sie verärgert. „Ihr sagtet, Pippin sei verrückt nach ihr. Wie kann er das, wenn es sie nicht gibt?“
Weiter wich sie vor ihm zurück. Doch der Mann versuchte gar nicht, ihr zu folgen.
„Er sah sie noch nie. Nur ein Bild von ihr trägt er stets mit sich!“, plötzlich sah Estrella die Tränen in seinen Augen glänzen. „Ihr jedoch kennt ihr Antlitz und haltet ihr liebstes Kleid.“
„Vorhin, das war eure Tochter?“, erschrocken ließ Estrella das Kleid fallen.



Neugierig, ob Estrella den Frankenkönig am Ende bezwingt? Ob sie ihr Glück findet? Und mit wem?



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